Winterberg – Nein, es ist nicht der Mount Everest oder die Eiger Nordwand, die es heute zu bezwingen gilt. Es ist die Steinkuhle in Neuastenberg bei Winterberg.
Sie türmt sich auch nicht tausende Meter vor einem auf, aber schon die 13 Meter hohe und rund 70 Meter breite schwarzgraue Felswand flößt Bergsteiger-Neulingen wie mir gehörig Respekt ein. Und wenn das nicht so wäre, würde Kai Kramer-Knell vehement darauf dringen, dass ich dieser Gesteinsformation ebenfalls meine Ehrerbietung erweise.
Der Pädagoge aus Frankenberg ist Sportkletterer und spricht aus Erfahrung, wenn er sagt, dass jeder Berg stets mit der gleichen Sorgfalt und Konzentration bestiegen werden sollte. Schließlich macht ein Sturz aus 13 oder 8000 Meter keinen großen Unterschied mehr.
Während ich dieses kleine Abenteuer im Sauerland mit der Klettererfahrung, Kirschbaum, vier Meter hoch, be-stiegen vor 50 Jahren ohne Seil und Haken, antrete, hat Kramer-Knell schon an einigen Wänden unter anderem in den Alpen und Dolomiten den Weg nach oben gesucht.
Was bewegt Menschen dazu, auf einen Berg zu klettern? Eine Antwort kann lauten: Weil er da ist! Der britische Bergsteiger George Mallory hat mit diesen Worten einst erklärt, warum er den Mount Everest besteigen wolle. Er verlor 1924 auf seinem Weg zum Gipfel des höchsten Berges der Erde sein Leben. Andere Antworten könnten lauten: Klettern vermittelt ein Freiheitsgefühl, verschafft eine starke Bindung zur Natur und stellt einen vor große Herausforderungen, ob sportlich, körperlich, seelisch, aber auch zwischenmenschlich, denn in kaum einer Sportart legt man sein eigenes Schicksal so sehr in die Hände seines Partners.
Letztlich hängst du dich mit deinem Leben an einen Haken.
Niemand sollte sich allein auf den steinigen Weg nach oben machen, auch wenn er als Solo-Kletterer agiert, der auf Seil und Sicherung verzichtet. Und allein mit Vertrauen zu seinem Partner sei es nicht getan, betont Kramer-Knell, während er sich für sein anstehendes Treffen mit dem Tonschiefer der Steinkuhle in Schale wirft. Er schwört auf Kontrolle bis ins Detail. „Letztlich hängst du dich mit deinem Leben an einen Haken, den irgendjemand, irgendwann einmal dort hinein geschraubt hat.“
Während wir den Klettergurt überstreifen, den man wie eine imaginäre kurze Hose anzieht, bereitet Kramer-Knell den Kletterneuling auf seine Aufgabe als Sicherheitsbeauftragter vor. Wenn er seinen Weg nach oben geht, stehe ich unten nah am Fels, um ihm bei einem Sturz so zu sichern, dass der Fall schnell gebremst und gestoppt wird.
Dafür sind wir beide mit einem Seil verbunden, das mit einem speziellen Knoten an einem Karabinerhaken befestigt ist, der wiederum an den Klettergurten hängt. Damit der Partner am Boden den Kletterer bei einem Sturz besser halten kann, läuft das Seil durch ein handtellergroßes Sicherungsgerät (Grigri), das mit einem Karabiner am Klettergurt befestigt ist. Es funktioniert so ähnlich wie ein Sicherheitsgurt im Auto. Das Seil läuft hindurch, aber wenn ein kräftiger Zug erfolgt, wird es blockiert.
„Ordnung am Gurt ist wichtig“
Kramer-Knells Schritte haben mittlerweile einen metallenen Klang, denn er hat seinen Klettergurt mit Karabinern und anderen Hilfsmitteln bestückt, die ihm an der Felswand nützlich sein können, Schnüre, Bänder oder ein Beutel mit Magnesiumcarbonat, das den Händen die Feuchtigkeit entzieht.
„Ordnung am Gurt ist wichtig, vor allem dann, wenn es am Berg schnell gehen muss“, sagt der 56-jährige Förderpädagoge, der auch in der Lehrerausbildung tätig ist. Dann prüft er noch, ob das Seil knotenfrei ist, zieht sich die Kletterschuhe an, die ein wenig an Ballettschuhe erinnern, aber sehr starr sind und eng wirken. Jetzt noch den Helm auf, der vor Steinschlag schützen soll, und los geht’s.
Denkt zumindest der unerfahrene Kletterer und wird von dem Erfahrenen wieder zurückgepfiffen. Normalerweise überprüfen die Partner jetzt noch gegenseitig, ob ihre Ausrüstung komplett ist und korrekt sitzt. Dann zeigt er auf eine Hinweistafel, die etwas abseits des Felsens steht. Dort sind 15 verschiedene Routen mit ihren jeweiligen Schwierigkeitsgraden aufgezeigt, die man hier in der Steinkuhle wählen kann.
Die Kategorie 12 ist der höchstmögliche Schwierigkeitsgrad beim Klettern, hier sind als oberstes Limit drei 6er-Routen eingezeichnet. Der Laie vermutet, dass eine nahezu glatte Wand den Kletterer vor die schwierigste Aufgabe stellt, aber es sind eher die Überhänge. Die gebe es auch hier in der Steinkuhle, daher seien die 6er-Routen schon recht anspruchsvoll, erzählt Kramer-Knell. Er wagt diese Wege nach oben natürlich nicht mit seinem Kletter-Novizen, der ihm so gut wie keine Sicherheit bieten kann.
Er will hier einen 3er-Weg einschlagen. Wir stehen nun vor der Tafel und sofort erwacht in Kramer-Knell der Lehrer: Eine Klettertour beginne schon zu Hause am Computer, dort könne man diese Tafel sehen und sich schon Fragen beantworten. Was ist dein Weg? Beherrscht du die Schwierigkeitsstufe? Ist es ein erschlossener Kletterfels an dem Bohrhaken und oben eine Sicherung verankert sind? Um welche Gesteinsart handelt es sich? Je mehr Fragen er stellt, desto deutlicher wird mir, dass das hier kein Kinderspiel ist
Dann startet Kramer-Knell seine Kletterpartie und sein Sicherheitspartner ist etwas angespannt, denn er möchte keinen Fehler machen. Der Kletterer verlangt mehr Seil, er bekommt mehr Seil und zwar nur so viel, dass die Leine immer leicht gespannt ist.
Ein sogenanntes Schlappseil würde die Fallhöhe bei einem Sturz erhöhen. Kramer-Knell hat nun den ersten Bohrhaken erreicht. Diese sind hier gut sichtbar, in den Alpen finde man sie oft recht schwer, weil sie verwittert seien, und auch der Einstieg der Route sei hier gut sichtbar. „In den Alpen suchen wir manchmal sehr lange danach“, erzählt Kramer-Knell.
Er nimmt nun einen weiteren Karabiner vom Gurt, eigentlich sind es immer gleich zwei, die mit einem stabilen rund 20 Zentimeter langen Band verbunden sind, in der Kletterersprache heißt es Expressschlinge oder kurz Exe. Den ersten Karabiner befestigt er an den Bohrhaken, das Seil lässt er durch den zweiten laufen. Er hält nach dem nächsten Bohrhaken Ausschau und auf diese Art und Weise arbeitet er sich schnell nach oben. Dort ist eine Kette angebracht.
Als er nach wenigen Minuten am Ziel ankommt, nimmt er ein Band (Standplatzschlinge) von seinem Gurt, an dem ebenfalls an beiden Enden ein Karabiner befestigt ist. Er sichert sich nun selbst, indem er sich an die Kette nimmt. Dadurch gibt er das Seil frei und er ruft dem Mann am Boden zu: „Stand!“ Nun kann ich das Seil aus dem Grigri nehmen und Kramer-Knell zieht es zu sich nach oben, führt es durch die Kette, dann durch ein eigenes Sicherungsgerät und verbindet es mit dem Klettergurt. Jetzt legt er die Füße an den Fels, seinen Körper nach hinten und seilt sich recht flott zum Boden ab.
Keinen Blick für die schöne Aussicht
Dort holt er das Seil wieder ein. Nur selten klettert ein Bergsteiger wieder hinunter. „Sie steigen meist nur hoch und gehen zu Fuß wieder nach unten“, sagt Kramer-Knell. Wer eine Route plant, sollte daher nicht nur den Weg nach oben kennen, sondern auch stets schauen, wie er wieder runterkomme. Ab und zu wartet auch eine böse Überraschung auf die Bergsteiger, etwa bei der Eiger Nordwand. „Da ist jeder froh, dass er oben angekommen ist, aber der Rückweg führt über einen schmalen Grat auf Eis und Schnee und auf beiden Seiten geht es tausend Meter nach unten.“ Während der Wanderer sich meist darauf freut, auf dem Berg die schöne Aussicht zu genießen, spielt dieser Augenblick für Kletterer so gut wie keine Rolle. „Abends in der Hütte unterhält man sich nicht über die schöne Aussicht“, erzählt Kramer-Knell.
Jetzt gilt nur noch das Hier und Jetzt
Und nun das ganze nochmal von vorn, mit vertauschten Rollen. Das Greenhorn als Kletterer. Der Wille ist da, aber wenig Selbstvertrauen. Kramer-Knell findet die richtigen Worte und schon stehe ich zwei, drei Meter in der Wand. Ich spüre den Zug des Seiles und der verleiht Sicherheit, denke an Kramer-Knells Hinweise, mit dem ganzen Körper klettern, die Arme so oft wie möglich lang, die Füße nicht schleifen lassen…
Plötzlich sind alle Zweifel, soll ich oder soll ich nicht, weg. Jetzt gilt nur noch das Hier und Jetzt, der Moment, den richtigen Halt zu finden, der Augenblick, den Schritt und die Handgriffe nach oben zu wagen und sie zu gehen.
Es ist ein gutes Gefühl, denn plötzlich kann ich alles um mich herum verdrängen für das Spiel mit dem Gleichgewicht, für die Suche nach dem kleinen Felsvorsprung, den die Fingerkuppen fassen können oder die den Füßen Halt bieten, um den Körper nur mit Muskelkraft nach oben zu ziehen. Auch wenn mir noch der Mut fehlt, bis nach oben zu gehen, wird auch dem Kletterneuling an der Wand eines klar: Allein kommt man nicht weit, und der beste Weg nach oben führt nicht nur steil bergauf, sondern manchmal muss man dafür auch einen Schritt zurück oder zur Seite gehen. Im Klettern steckt jede Menge Leben. rsm
August 21, 2020 at 01:45AM
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Zum Klettern muss niemand in die Alpen fahren - ein Versuch im Sauerland - wlz-online.de
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Seil
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